Artikel aus der Kreiszeitung vom 18.09.2022
Text: Michael Mix, Bild: Arne Brill

Achim – „Ich bin 30 Jahre lang begeistert bei Wind und Wetter mit dem Rad von Oyten zur Arbeit nach Bremen und zurück gefahren. Da ist es mir ein Anliegen, mit dieser Aktion auf die dringend notwendige Verkehrswende aufmerksam zu machen“, sagte Willy Hayen. Er zählte zu den rund 50 Unverdrossenen aus Verden, Ottersberg, Oyten und Bremen, die sich am Freitag trotz Regenschauern mit dem Fahrrad aus vier verschiedenen Richtungen nach Achim aufmachten, um sich zukunftstaugliche Verkehrsprojekte anzusehen.

Zu dieser Sternfahrt mit erhellenden Zwischenstopps eingeladen hatten der Förderverein der Klimaschutz- und Energieagentur des Landkreises Verden, die AzweiO und der Kommunalverbund Niedersachsen / Bremen. Es war der Auftakt zahlreicher Veranstaltungen, die im Rahmen der europäischen Mobilitätswoche bis 22. September in der Region stattfinden.

Zu dieser Sternfahrt mit erhellenden Zwischenstopps eingeladen hatten der Förderverein der Klimaschutz- und Energieagentur des Landkreises Verden, die AzweiO und der Kommunalverbund Niedersachsen / Bremen. Es war der Auftakt zahlreicher Veranstaltungen, die im Rahmen der europäischen Mobilitätswoche bis 22. September in der Region stattfinden.

Bei Zwischenstopps erhielten Hayen und die übrigen Teilnehmenden Informationen zu Radschnellwegen, Fahrradstraßen, digitalen Radstationen, Lastenrad-Sharing und Pendler-Bike-Sharing. Letzteres wird von AzweiO – eine gemeinsame Gesellschaft von Achim, Ottersberg und Oyten – initiiert und von den Unternehmen Amazon und Zeppelin in Achim bereits erfolgreich für Beschäftigte angeboten. Ganz neu mit dabei ist Dodenhof in Posthausen. In Kürze können auch die Mitarbeitenden der Aller-Weser-Klinik in Achim darauf zugreifen.

Tim Willy Weber, Bürgermeister des Fleckens Ottersberg, nahm ebenfalls an der Tour teil und betonte: „Ich finde es wichtig, dass die Gemeinden im Landkreis sich eng vernetzen, um gemeinsam die Einzelmotorisierung bei uns zurückzuschrauben.“

Genau das ist auch das Anliegen des Verkehrswissenschaftlers Professor Dr. Heiner Monheim, der im Anschluss an die Sternfahrt einen Vortrag im Kasch zu dem Thema hielt. Der Mobilitätsexperte von der Universität Trier warb im Blauen Saal eindringlich für einen Ausbau von Bus- und Bahnverbindungen und forderte ebenso massive Investitionen und gesetzliche Maßnahmen, um den klima- und umweltfreundlichen Radverkehr voranzubringen.

Monheim hielt eine Trendwende in der Verkehrspolitik für überfällig. „Das Raubtier Auto“, für dessen uneingeschränkten Gebrauch seit dem Zweiten Weltkrieg Unmengen von Flächen geopfert worden seien, müsse endlich domestiziert werden. „Ich sehne mich nach einer intelligenten Maut. Wer Autos fährt und abstellt, muss dafür zahlen“, verlangte der Verkehrswissenschaftler.

Zugunsten des Straßenbaus verkorkste Städte und zerstörte Natur sowie andere Schattenseiten des wachsenden Individualverkehrs hätten viele lange nicht sehen wollen. „Die Gesellschaft hat früher 20 000 Verkehrstote pro Jahr in Kauf genommen“, erinnerte er.

Alternative Verkehrsmittel seien dagegen auf dem Abstellgleis gelandet. Die Bahn habe ihr Streckennetz und die Zahl der Bahnhöfe hierzulande halbiert und mit dem Wegfall des Interregio zur Jahrtausendwende viele Klein- und Mittelstädte vom Fernverkehr abgehängt. „Die von Hartmut Mehdorn umgesetzte Bahnreform hat dem Ganzen noch mal einen unguten Schub gegeben.“

Und Mobilität auf zwei Rädern? Noch in den 80er-Jahren hätten Verkehrsexperten orakelt: „Das Fahrrad ist tot.“ Und das in einer Zeit als der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club und der Verkehrsclub Deutschland infolge der aufkommenden Umwelt- und Gesundheitsbewegung entstanden seien und auf Alternativen zum Auto gedrungen hätten. Lärmaktions- und Luftreinhaltepläne habe es gegeben.

Professor Heiner Monheim fordert bei seinem Vortrag im Kasch vehement die Verkehrswende ein.

Doch die Kräfteverhältnisse hätten sich nicht in Richtung Bahn, Bus und Fahrrad verschoben. Ganz im Gegenteil. Bis heute befinde sich „Deutschland im Straßenbaufieber“, stellte Monheim fest. Auch deshalb nehme der Autoverkehr immer mehr zu. „Das ist das Ergebnis einseitiger Prioritäten“, kritisierte der Wissenschaftler politisch Verantwortliche. Anders als die Autoindustrie habe die Fahrradbranche auch nie Lobbyarbeit für ihr Verkehrsmittel betrieben, ergänzte er.

Das neue Jahrtausend habe dann jedoch „neue Trends gebracht“. Pedelecs erlebten einen Boom. „Dabei waren E-Bikes früher nur etwas für Alte, Kranke, Behinderte.“ Aber auch Last- und Leihfahrräder seien zunehmend gefragt. Selbstverständlich bewegt sich der Mobilitätsexperte aus Rheinland-Pfalz selbst vorbildlich fort. „Ich bin heute mit meinem Faltfahrrad im Zug hierher gekommen.“

Die Verkehrswende nehme langsam Fahrt auf, aber es bleibe noch sehr viel zu tun, konstatierte er. „Wir brauchen eine Transformation von einer Autoverkehrsplanung hin zu einer Radverkehrsplanung.“ Dabei gelte es auch Baurechte zu ändern.

Nachbarländer seien da schon deutlich weiter. In den Niederlanden gebe es auch an jedem kleinen Bahnhof Radstationen. Kopenhagen mit seinen vielen Fahrradstraßen und Fußgängerzonen sollte aus Sicht des Wissenschaftlers Vorbild für deutsche Städte sein.

„Wir müssen die Finanzmittel für den Radverkehr erheblich aufstocken“, forderte Heiner Monheim. Letztlich liege es jedoch an jedem Einzelnen, ob die Wende gelingt oder nicht. 80 Prozent der Haushalte in Deutschland verfügten über mindestens ein Fahrrad. Daran hapere es also nicht, eher an der regelmäßigen Nutzung. „Aus Sonntagsfahrern müssen Alltagsfahrer werden.“

Auf zwei statt auf vier Rädern fortbewegen (kreiszeitung.de)